Wolfgang Schöbl war Anfang der 1970er Jahre für die Redaktion von G+L Forum, dem Vorgänger von HERZ News, bei HERZ zuständig, bevor er seine berufliche Laufbahn als Export-Manager fortsetzte. Als Schwiegersohn des damaligen Geschäftsführers, Dr. Richard Lehrner, hat er das Unternehmen und die Familie Lehrner aus nächster Nähe erlebt. Heute blickt er auf eine ereignisreiche Zeit bei HERZ zurück und lässt uns an seinen Erinnerungen, Erfahrungen und prägenden Momenten in der Geschichte von HERZ teilhaben.
Mit 18 Jahren, vor dem Anschluss 1938 von Österreich an Deutschland, träumte Richard Lehrner von einer Zukunft als Verkehrsflieger. Doch der Verlauf der Geschichte führte ihn auf einen anderen Weg. 1941 fiel er als Kriegspilot in sowjetische Gefangenschaft, nachdem die Deutschen die Sowjetunion überfallen hatten. Im Gegensatz zu seinen beiden älteren Brüdern kehrte er jedoch körperlich und geistig unversehrt zurück. Damit war sein Weg vorgezeichnet: Er übernahm das Unternehmen des Vaters "Gebauer & Lehrner KG".
Im Interview mit HERZ News erzählt Wolfgang Schöbl, Mitarbeiter sowie Schwiegersohn Dr. Richard Lehrners, über die damalige Zeit des heute international tätigen Unternehmens HERZ Armaturen.
Wolfgang Schöbl: Nach dem Krieg stand HERZ, damals noch Gebauer & Lehrner, vor massiven Problemen. Unsere ehemaligen Absatzmärkte, die sich durch die Monarchie ergeben hatten, lagen in Trümmern. Österreich war nun ein viel kleinerer Markt. Damals gab es einen entscheidenden Konflikt zwischen Richard Lehrner und seinem Vater Viktor.
Wolfgang Schöbl: Gebauer & Lehrner stellte 1.300 verschiedene Produkte her, aber immer nur in sehr kleinen Mengen. Richard Lehrner erkannte, dass wir uns spezialisieren und weniger Produkte in größeren Stückzahlen produzieren mussten, um exportieren zu können. Viktor Lehrner war jedoch davon überzeugt, dass ein ordentlicher Betrieb ein komplettes Sortiment anzubieten hat.
Wolfgang Schöbl: Schwiegervater, also Richard Lehrner. Nach seiner Übernahme des Unternehmens hat er die Spezialisierung auf Heizungsarmaturen endgültig realisiert. Das Produktsortiment wurde von 1.300 auf 100 Produkte gesenkt. Der Umsatz stieg dabei von 20 Millionen auf 60 Millionen Schilling.
Wolfgang Schöbl: Ich würde es als den Anfangspunkt einer Wendekurve bezeichnen. Das große Produktionsprogramm zu reduzieren hat dem Unternehmen dabei geholfen, in die Serienproduktion zu gehen. Dadurch erreichten wir den internationalen Erfolg.
Wolfgang Schöbl: Mein Schwiegervater kam während seiner Kriegsgefangenschaft stark in Berührung mit marxistischer Ideologie. Allerdings hat er es geschafft, daraus das menschliche Element herauszuziehen. Der Marxismus strebt theoretisch eine klassenlose Gesellschaft an, in der beispielsweise die Produktionsmittel dem Volk gehören. Lehrner hat das auf seine Weise interpretiert: Wenn die Produktionsmittel – im unternehmerischen Sinne – den Mitarbeitern gehören, dann sollen sie auch Verantwortung übernehmen und mitbestimmen dürfen.
Wolfgang Schöbl: Lehrners Beteiligungsmodell basierte stark auf die Überzeugung, dass Menschen nicht nur durch äußeren Druck oder finanzielle Anreize motiviert werden müssen. Er hat sich sehr für amerikanische Managementliteratur interessiert, besonders für die X-Y-Theorie von Douglas McGregor. Nach dieser Theorie gibt es zwei Ansätze, wie man Menschen führt: Theorie X besagt, dass Menschen faul sind und nur durch Geld motiviert werden. Im Gegensatz dazu, stellt die Theorie Y Menschen als ehrgeizig, von Natur aus bereit Verantwortung zu übernehmen und ihre Leistung erbringen zu wollen dar. Mein Schwiegervater war von Grund auf ein positiv eingestellter Mensch, daher entschied er sich für die positive Theorie.
Wolfgang Schöbl: Genau. Beim Beteiligungsmodell von Lehrner gehörten 50 % des Unternehmens dem Schwiegervater, 25 % seinem Partner Thomas Smolka und die restlichen 25% den Mitarbeitern. Man hat sich mit 5.000 Schilling beteiligen können. Er wollte, dass jeder Mitarbeiter sich am Gesamterfolg beteiligt fühlt und Verantwortung übernimmt. Sie sollten den Willen haben, ihre Innovationen ins Unternehmen einzubringen.
Wolfgang Schöbl: Es war wichtig, sowohl die Arbeiter als auch die Führungskräfte vom Beteiligungsmodell zu überzeugen. Jeder Beteiligter hat unabhängig von der beruflichen Position mitbestimmen können. Die Arbeiter musste man langsam an die Übernahme von Verantwortung heranführen. Wenn man nur gewohnt ist, nach Anweisung zu arbeiten, ist dies nicht sehr einfach. Man muss den Personen Zeit geben, sich anzupassen.
Wolfgang Schöbl: Richard Lehrner hat einen "Gesellschaft-politischen" Rucksack getragen. Er wollte, dass seine Erkenntnisse nicht nur bei HERZ angewendet werden, sondern auch in anderen Unternehmen. Er war stolz auf sein Modell und glaubte daran, dass es möglich sei, die Wirtschaft gesünder zu gestalten, wenn andere Firmen ähnliche Modelle übernehmen würden.
Wolfgang Schöbl: Die Ölkrise war ausschlaggebend für den nicht gelungenen Erfolg seines Modells. Wenn die Ölkrise bisschen später ausgebrochen wäre, hätte sich das Modell stabilisiert. Die Geschichte hätte dann ganz anders ausgesehen. Damals haben etwa 160 Mitarbeiter das Unternehmen verlassen müssen – von insgesamt 360. Es war eine sehr schwierige Zeit. Besonders für die jüngsten Beteiligten war es ein großer Schock: Sie waren zwar Mitunternehmer, waren sich aber nicht mehr sicher, ob sie nicht den Arbeitsplatz verlieren. Ich war der Erste, der gekündigt wurde.
Wolfgang Schöbl: Das war eine perfide Politik des damaligen Partners Thomas Smolka. Als er mich, den Schwiegersohn des Chefs, als Ersten hinauswarf, wollte er damit den anderen Angst einjagen. Viele Mitarbeiter verstanden das als Zeichen dafür, dass sie sich auf schwierige Zeiten einstellen mussten.
Wolfgang Schöbl: Er war auf Teneriffa und hat an einem Bridge-Turnier teilgenommen.
Wolfgang Schöbl: Nein, er war noch aktiv dabei. Er vertraute aber seinem Führungskreis sehr. Seine bisherigen Lehren und Vorgaben wurden vom Führungskreis verstanden, ebenso auch seine Botschaft dahinter. Aber für die Mitarbeiter war das ein Schock. Ihr geliebter "Vater" war weg und sie waren nun dem Führungskreis ausgeliefert, vor allem Thomas Smolka, der eher durch seine strengere Führungsstrategie bekannt war.
Wolfgang Schöbl: Schwiegervater hat sich nach der Ölkrise immer mehr und mehr vom Unternehmen zurückgezogen. Er hatte auch die ersten Anzeichen von gesundheitlichen Problemen. Der letzte Teil der Lehrner Gesellschaft ist an Thomas Smolka verkauft worden. Das Vermögen wurde durch eine vorzeitige Schenkung an die drei Kinder des Schwiegervaters übertragen.
Wolfgang Schöbl: Das hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich habe die Sandgießerei miterlebt. Es ist faszinierend, was aus dem Werk heute geworden ist. Wenn ich mir heute die HERZ News anschaue, bin ich das erste Mal traurig darüber, dass ich über das Pensionsalter draußen bin. Ich würde hier sofort wieder anfangen wollen.
Thomas Smolka erwarb Anfang der 1980er Jahren alle Anteile der Familie Lehrner und wurde somit der alleinige Geschäftsführer des Unternehmens Gebauer & Lehrner. Sein Vater war jedoch keine unbekannte Persönlichkeit in der Geschichte der sowjetischen Agenten: Peter Smolka, der nach seiner Emigration nach Großbritannien seinen Namen in Smollett änderte.
In den Archiven im Netz taucht Peter Smolka als Agent des NKWD auf, der sowjetischen Geheimpolizei, die für politische Unterdrückungen und große Operationen unter Josef Stalin bekannt war. Unter dem Codenamen „ABO“ war Smolka unter anderem auch für die Organisation prosowjetischer Propaganda in England zuständig. Er soll von niemand Geringerem als Kim Philby, einem Mitglied der berüchtigten Cambridge Five, rekrutiert worden sein, die während des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs für die Sowjetunion spionierten. Offiziell arbeitete Smolka als Journalist und seine wahre Rolle als Agent wurde erst nach seinem Tod aufgedeckt.
Im Rahmen des Interviews teilte uns Wolfgang Schöbl auch interessante Informationen über die erste Begegnung der Familien Smolka und Lehrner mit. Ihm zufolge war Peter Smolka als Verbindungsoffizier zwischen der britischen Royal Army und der sowjetischen Roten Armee aktiv und unterstützte antifaschistische Schulungen für Kriegsgefangene - zu einer Zeit, als Richard Lehrner ebenfalls Kriegsgefangener war. 1948 kehrte Peter Smolka nach Wien zurück und pflegte mit Richard Lehrner eine enge Freundschaft. Diese Verbindung führte dazu, dass Peter Smolkas Sohn Thomas zunächst als Partner in das Unternehmen von Richard Lehrner eintrat und später dessen alleiniger Eigentümer wurde.
Peter Smolka, der enge Verbindungen zu Kim Philby pflegte, gewährte Graham Greene, dem Schriftsteller und Drehbuchautor, entscheidende Einblicke in Philbys Leben als Doppelagent, die den düsteren Charakter von Harry Lime im Film "Der dritte Mann" maßgeblich beeinflussten. Der Name Smolka wurde im Film einer Bar gewidmet. Ob die Namensgebung der Bar als Dank für die wertvollen Informationen von Smolka an Greene zu verstehen ist oder als ein subtiler Hinweis auf den geheimen Ort ihres Informationsaustausches dient, bleibt wohl ein Geheimnis, das wir nie lüften werden.
Peter Smolkas Einfluss erstreckte sich nicht nur auf die Politik und Filmwelt, sondern hinterließ auch Spuren in der Literaturgeschichte. Genaugenommen in George Orwells legendärem Werk "Farm der Tiere". Ursprünglich hatte der Verleger Jonathan Cape einer Veröffentlichung des Buches zugestimmt, doch kurz darauf zog er seine Zusage mit der vagen Begründung zurück, dies geschehe "auf den Rat eines britischen Beamten". Dieser Beamte war niemand Geringerer als Peter Smolka, der Orwells Manuskript zu "antisowjetisch" empfand. Es ist kein Zufall, dass Smolka auf George Orwells berüchtigter Liste von Personen zu finden ist, die er als "Kryptokommunisten, Mitglieder der Kommunistischen Partei Großbritanniens oder Agenten" bezeichnete und 1949 an das britische Information Research Department (IRD) übergab. In dieser Liste wird Smolka als „mit ziemlicher Sicherheit ein Agent irgendeiner Art“ aufgeführt, weit bevor Smolka offiziell als Agent entlarvt wurde.
Seit 1997 importiert Wolfgang Schöbl spanische Lebensmittel und gehört heute zu den führenden Importeuren in Österreich. 2015 übergab er das Unternehmen an seine Tochter und seinen Schwiegersohn, denen er bis heute zur Seite steht. Von Manchegokäse über Sardinen bis hin zu Salami – das Feinkostgeschäft in Baden bietet eine Vielfalt spanischer Delikatessen. Mehr dazu - el gusto español