Brennpunkt° ― Museum der Heizkultur Wien
Ob kunstvoll gefertigte Einzelöfen, Radiatoren oder Dampfheizungen für Schulen, Spitäler und Gärtnereien – das vor 10 Jahren neu eröffnete Museum der Heizkultur Wien bewahrt einzigartige Objekte auf, die sonst nirgends mehr erhalten geblieben sind. Anhand der Geschichte des Heizens wird der Alltag von Menschen einer Großstadt erfahrbar. Dieser Fokus macht deutlich, wie eng technische Erneuerungen, die Entwicklung städtischer Einrichtungen und private Lebensbereiche miteinander verknüpft sind.
Zentral für das Funktionieren einer Stadt
An diese Fragestellung knüpft die Ausstellung Plan B – Wie Frauen Wien veränderten (2. Februar 2020 bis 30. Mai 2021) an. Ausgangspunkt sind sieben Themenfelder, die zentral für den großstädtischen Alltag sind. Es geht um Arbeiten, Lernen und Wohnen, um Netzwerke der Versorgung und Entsorgung oder auch um Freizeit, Kunst und Kultur. Sieben Wienerinnen der Gegenwart erzählen davon, was diese Bereiche ganz persönlich für sie bedeuten. Die Besucherinnen und Besucher erhalten so Einblicke in die Lebenswirklichkeiten von anderen heutigen Bewohnerinnen und in Kombination mit Beispielen aus der Vergangenheit wird deutlich, dass zu jedem Zeitpunkt unzählige ― auch sehr unterschiedliche ― Vorstellungen, darüber bestehen, was wichtig für ein gutes Leben in der Stadt ist.
Pionierinnen auf der Spur
Die sieben in der Schau präsentierten Initiativen zeigen, wie heute weitgehend unbekannte Frauen, die gegebene Handlungsräume nutzten oder erweiterten und damit ihr Umfeld veränderten. Sie forderten bessere Arbeitsbedingungen, setzten sich für einen Ausbau der städtischen Wasserversorgung ein oder kämpften für die Zulassung zu Bildungseinrichtungen. Frauen probierten neue Wohnformen aus, engagierten sich für Menschen in Armut oder nutzten als Unternehmerinnen die Möglichkeiten neuer Technologien. Für die Erkundung dieser ganz konkreten Geschichten bildet ein aussagekräftiges Exponat den Anknüpfungspunkt. Fotografien der Künstlerin Lisa Rastl zeigen dieses Objekt jeweils an seinem üblichen Aufbewahrungsort – im Archiv, im Museumsdepot, in der Dauerausstellung oder im privaten Umfeld. Damit werden auch jene Institutionen sichtbar, die Vergangenes überliefern. Da über die präsentierten Initiativen teils nur mehr sehr wenig bekannt ist, können die Besucherinnen und Besuchern zusätzlich den historischen Kontext anhand von reproduzierten Dokumenten und von Ausschnitten damals publizierter Texte eigenständig nachvollziehen.
Gegenwart und Vergangenheit
Der Blick zurück in die Geschichte macht deutlich, dass auch Menschen, die nicht wählen durften, sehr schlecht verdienten oder nicht studieren konnten, Wien mitgestalteten. Dies soll Mut machen, auch heute aktiv zu werden. So wie damals Frauen mit ihren ganz persönlichen Entscheidungen und alltäglichen Handlungen unsere Stadt verändert haben, werden auch wir mit unseren Aktivitäten die Spuren hinterlassen, die Grundlage für zukünftige Veränderungen sind. Denn eine Stadt steht nie still. Sie ändert sich ständig, wird zu dem, was eine Vielheit von Personen aus ihr machen. Im Gegensatz zum Masterplan A, der von Männern dominiert wurde, haben die bei der Sonderschau vorgestellten Pionierinnen Wien aus dem Alltag und vielfach aus der Not heraus verändert und damit einen Plan B geschaffen. Die Ausstellung zeigt, wie Frauen damit ganz entscheidend und oft weitgehend unbemerkt zur Entwicklung eines lebenswerten Wien beigetragen haben.
Links: Fotografie von Wiener Radfahrerinnen aus dem Depot des Wien Museums; Foto: © Lisa Rastl, 2019 |
Rechts: Radfahrerinnen in Wien, um 1900; Foto: Atelier Rosa Jenik; © Wien Museum |
Um das Jahr 1900 suchten sieben junge Frauen das Atelier von Rosa Jenik, „K. u. k. Hof-Fotografin“, im 8. Bezirk auf. Wer die Frauen waren und warum sie sich mit ihren Rädern fotografieren ließen, wissen wir nicht. Lediglich dieses Foto hat sich in der Sammlung des Wien Museums erhalten. Vielleicht waren diese Mädchen Mitglieder in einem der zahlreichen Wiener Bicycle Clubs. Vermutlich verband sie ihre Freude am Fahrradfahren. Und ganz sicher teilten sie das Bestreben, sich nicht durch schiefe Blicke und anzügliche Witze davon abhalten zu lassen. Denn bis zum Ende des 19. Jahrhunderts meinten viele, dass diese Fortbewegungsart für Frauen „unschicklich“ sei. Manche fanden die Bekleidung der Radfahrerinnen unpassend. Andere vermuteten, dass radelnde Mädchen und Frauen ihre Gebärfähigkeit aufs Spiel setzten. Indem sich Frauen nicht von Vorurteilen und Konventionen in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken ließen, haben sie den öffentlichen Raum Wiens grundlegend transformiert. Viele kleine Entscheidungen von vielen Einzelpersonen bewirkten eine gerechtere Nutzung des Stadtraums. Die Frauen auf dem Foto sind Teil dieses Prozesses.
Arbeitsbuch von Maria Eichhorn im Archiv des Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung; Foto: © Lisa Rastl, 2019 |
Von Maria Eichhorn wissen wir nur, was in ihrem Arbeitsbuch zu lesen ist. Dieses kleine Büchlein, in dem die Daten zu ihren Arbeitsverhältnissen von Mai 1909 bis Oktober 1917 vermerkt sind, hat sich im Archiv des Vereins für Geschichte der ArbeiterInnenbewegung erhalten. Maria Eichhorn kann stellvertretend für viele Frauen stehen, die um 1910 in Wien in der Wäschebranche tätig waren. Die 1870 in Budapest geborene Frau arbeitete während dieser acht Jahre vorwiegend als Büglerin in elf verschiedenen Wäschereien und Putzereien in Wien, in der Sommersaison auch in Karlsbad und Altaussee. Warum ihre Anstellung bei der Wäscherei Adalbert Martinek irgendwann zwischen Februar und Herbst 1910 endete und warum sie kein Zeugnis erhielt, wissen wir nicht. Es ist jedoch bekannt, dass von Ende Jänner 1910 bis Anfang März 1910 tausende Arbeiterinnen und Heimarbeiterinnen der Wäschebranche streikten, um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen. Dieser Streik ist nur einer von mehreren, die um das Jahr 1910 in Wien in frauendominierten Branchen geführt wurden.
Während wir über Maria Eichhorn kaum Informationen besitzen, zählt Anna Boschek zu den bekanntesten Kämpferinnen für bessere Arbeitsbedingungen von Frauen in Österreich. Boschek musste schon als Kind durch Heimarbeit zum Familieneinkommen beitragen. Daher kannte sie aus eigener Erfahrung die Probleme jener Frauen, die in Privathaushalten gewerblicher Lohnarbeit nachgingen ― als Wäscherinnen, Dienstbotinnen und Heimarbeiterinnen. Im Jahr 1902 war sie Mitbegründerin des „Vereins der Heimarbeiterinnen“, der Frauen mit Stellenvermittlung, unentgeltlichem Rechtsschutz, einem Entbindungsbeitrag oder im Krankheitsfall unterstützte. Anna Boschek klebte bis zum Verbot des (Nachfolge-)Vereins durch den sogenannten Ständestaat mehr als 30 Jahre hindurch jede Woche ihre Mitgliedsmarke in den ebenfalls in der Ausstellung gezeigten Ausweis.
Stativkopf der Wiener Kunstfilm im Depot des Filmarchivs Austria; Foto: © Lisa Rastl, 2019 |
Der Kamera-Stativkopf trägt die Aufschrift „Wiener Kunst Film Akt. Ges“. Heute wissen nur noch Fachleute und Filmfans von diesem Unternehmen. Zu seiner Zeit hingegen war es weithin bekannt und noch mehr Leute kannten die Filme aus diesem Haus. Auf das Unternehmen ging der erste österreichische Spielfilm zurück, ebenso die erste österreichische Literaturverfilmung, auch der erste österreichische Filmstar wurde hier „gemacht“: Liane Haid.
Kern der Wiener Kunstfilm waren Louise Kolm, Tochter des Schaustellers Louis Veltée, ihr damaliger Mann Anton Kolm sowie ihre späterer, zweiter Ehemann Jakob Fleck. 1910 begann dieses kreative Trio mit der Produktion von Filmen und das obwohl es keine großen finanziellen Rücklagen hatte. Zudem gab es zu der Zeit in Wien keine Infrastruktur, um zu drehen und die drei hatten noch nie ein Theaterstück auf die Bühne gebracht. Während sich Anton Kolm vor allem um die geschäftlichen Angelegenheiten kümmerte, waren Louise Kolm und Jakob Fleck für das Casting, die Regie, die Kameraführung und die Beleuchtung verantwortlich. Louise Kolm war die erste Regisseurin Österreichs und gilt ― nach der Französin Alice Guy Blaché ― als die zweite weltweit. Wie zahlreiche andere Frauen in Wien, nutzte sie die neuen technischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten für ihre Projekte an der Schnittstelle von Kunst, Kultur und Unterhaltung.
Petra und Maria Kaufmann in ihrem Marktstand am Johann-Nepomuk-Vogl-Markt; Foto: © Siegfried Loos, 2019 |
Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Waldviertel, war für Petra und Maria Kaufmann der Umgang mit hochwertigen Lebensmitteln seit Kindertagen selbstverständlich. Petra Kaufmann war in der Hotellerie und als Gastronomin tätig, bevor sie sich 2015 mit einem Marktstand am Johann-Nepomuk-Vogl-Markt selbstständig machte. Zwei Jahre später sattelte auch ihre Schwester, eine Kunsthistorikerin und gelernte Buchhändlerin, um: Seither betreiben Petra und Maria Kaufmann gemeinsam ihren „Kaufmannsladen“. In der Ausstellung Plan B. Wie Frauen Wien veränderten erzählen sie von den Unterschieden bei der Versorgung mit Lebensmitteln zwischen Stadt und Land und von den von ihnen erlebten Veränderungen in ihrem Grätzel.
Ausstellung
Plan B – Wie Frauen Wien veränderten
Leihgaben von: Privatpersonen, Bezirksmuseum Ottakring, Filmarchiv Austria, Sammlung Frauennachlässe am Institut für Geschichte an der Universität Wien, Verein der Geschichte der ArbeiterInnenbewegung, Wien, Wienbibliothek im Rathaus und Wien Museum.
Interviews mit Anna Iarotska, Beate Hausbichler, Petra & Maria Kaufmann, Caudia Polaschek, Elke Sodin, Hui Ye und Maja Zuvela-Aloise.
Kuratierung: Gudrun Ratzinger
Gestaltung: polar÷ Margot Fürtsch-Loos & Siegfried Loos
Grafikdesign: Manuel Radde
Produktion: Margot Fürtsch-Loos
BRENNPUNKT ° MUSEUM DER HEIZKULTUR WIEN
Malfattigasse 4, 1120 Wien
ÖFFNUNGSZEITEN
Oktober bis Mai: Mo–Mi 9.00–12.00 und 13.00–16.00 Uhr, So 10.00–16.00 Uhr
Für Gruppen ab 10 Personen nach persönlicher Vereinbarung auch außerhalb der Öffnungszeiten
Geschlossen: 24. und 31. 12. sowie an gesetzlichen Feiertagen
FÜHRUNGEN
Führungen an Öffnungstagen jeweils um 10.30 und um 13.30 Uhr – alle Führungen sind gratis.
INFORMATIONEN
Tel. +43 (0)1 4000-34100