Wollsdorf Leder ist seit über 90 Jahren ein fester Bestandteil der österreichischen Lederindustrie und inzwischen mit Standorten in Europa, Asien, den USA und Südamerika international vertreten. Doch wer glaubt, ein Traditionsbetrieb ruhe sich auf seiner Geschichte aus, kennt Wollsdorf Leder nicht. Hier wird seit Generationen immer wieder neu gedacht, um auf wechselnde Märkte, technische Anforderungen und globale Herausforderungen zu reagieren. Der jüngste Schritt: Ein 5 Megawatt Dampfkessel von BINDER, der bei der Erzeugung von Dampf, Heißwasser, Warmwasser, Kälte und sogar Strom eine bedeutende Rolle spielt.

Bereits 1936 legte Urgroßvater Alexander Schmidt den Grundstein für die Lederproduktion – damals spezialisiert auf die Herstellung von Schuhleder. Durch das große „Gerbersterben“ in den 60ern kam die Umstellung auf Möbelleder, und die heutige Fabrik in Wollsdorf, Steiermark, wurde im Jahr 1976 gebaut. Doch mit der Krise der 1990er-Jahre brach auch der Möbelmarkt ein. Statt aufzugeben, vertraute die Familie Schmidt auf ihr Können und ihr tiefes Fachwissen in der Lederverarbeitung und fand ihren Weg in das bis heute zentrale Geschäftsfeld: Technisches Leder für die Automobil-, Interior- und Flugzeugindustrie. Michael Schmidt, General Manager bei Wollsdorf Leder, hat jahrelang in Südamerika Pionierarbeit im Bereich Biomasse-Technologie geleistet, bevor er in das Familienunternehmen zurückkehrte. Im Gespräch mit HERZ News berichtet er von seinem jüngsten Projekt: der effizienten Prozessentwicklung bei Wollsdorf mithilfe eines BINDER-Kessels.
HERZ News: Herr Schmidt, Sie haben eine beeindruckende internationale Laufbahn hinter sich – von Kanada bis nach Südamerika, von Schiffsantrieben bis zu Kraftwerken. Wie sind Sie zur Biomasse gekommen?
Michael Schmidt: Ich habe viele Jahre an großen Energie- und Antriebssystemen gearbeitet. Die Biomasse-Technologie hat mich immer schon fasziniert. In Südamerika habe ich das Potenzial gesehen, komplette Industrien nachhaltiger zu gestalten. In Chile und Uruguay haben wir damals schon effiziente Biomasselösungen aufgebaut. Das hat mich geprägt.
HERZ News: Was war der ausschlaggebende Grund, eine so umfassende Biomasseanlage in Wollsdorf zu installieren?
Michael Schmidt: Von der Rohhaut bis zum Fertigleder sind es insgesamt 19 Prozesse bei der Lederverarbeitung. Wir haben dadurch ein breites Spektrum an Energieanforderungen: Dampf, Warmwasser, Heißwasser, Kaltwasser und Strom. Unser Ziel war, so viel wie möglich davon über Biomasse zu erzeugen. Ein Kessel ist eine Investition, also sollte man auch das Maximum herausholen.
HERZ News: Wie wird das alles durch eine Kesselanlage ermöglicht?
Michael Schmidt: Wir haben uns für eine 26 bar BINDER-Anlage entschieden, obwohl wir theoretisch mit 7 bar auskommen würden. Dadurch können wir mit der Anlage auch Verstromung durchführen, die wir an gewissen Stellen der Produktion benötigen. Wir zweigen also 7 bar Dampf für die Verbraucher, die mit Dampf funktionieren, ab und der Rest geht in die Verstromungsanlage über einen Dampf-Expander.
HERZ News: Für welche Produktionsschritte in der Lederverarbeitung wird der BINDER-Kessel eingesetzt?
Michael Schmidt: Bei den Nassprozessen brauchen wir Wasser in verschiedenen Temperaturen, von 25 °C bis 60 °C. Der BINDER-Kessel erwärmt das Brauchwasser, das wir aus der Raab mit 12 °C beziehen, auf die jeweiligen Temperaturen. Bei der Trocknung nutzen wir den Dampf und teilweise ergänzend Strom. Das Leder wird zuerst mechanisch vorgetrocknet, danach vakuumgetrocknet. Zwei Drittel des Trocknungsprozesses erfolgt jedoch thermisch: Hier spielen Heißwasser und Kälte aus dem Absorptions-Kältegerät eine zentrale Rolle, um der Trocknungsluft die Feuchtigkeit zu entziehen und sie wieder auf die richtige Temperatur zu bringen.
HERZ News: Kühlung aus Biomasse herzustellen ist nicht gang und gäbe, oder?
Michael Schmidt: Kälte aus Biomasse ist eine Seltenheit, aber eine großartige Sache, wenn man weiß, wie es funktioniert. Unser Absorptions-Kältegerät nutzt die Restwärme und wandelt sie in Kälte um. Die gesamte Anlage wird thermisch geführt: Wir produzieren so viel Wärme, wie unsere Prozesse benötigen, und aus diesem thermischen Betrieb entsteht als Nebenprodukt Kälte und sogar ein Teil Strom. Wir erzielen durch jede Megawattstunde an Dampf, den wir produzieren, etwa 60–80 Kilowattstunden an elektrischem Strom. Dadurch holen wir aus dem BINDER-Kessel wirklich alles heraus.
HERZ News: Läuft die BINDER-Anlage dadurch kontinuierlich im Volllastbetrieb?
Michael Schmidt: Die Anlage ist 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche im Einsatz. Durch die gute Modulierung passt sich der BINDER-Kessel laufend an den tatsächlichen Bedarf an und hat einen deutlich geringeren Energieverbrauch. Wir verbrauchen prinzipiell weniger Energie in Kilowattstunden als vorher mit dem Gaskessel, das war aber auch so vorgesehen. Durch die 26 bar bekommen wir leicht überhitzten Dampf, der für ideale Bedingungen im gesamten Netz sorgt – keine Dampfschläge mehr, selbst in den entferntesten Leitungen.
HERZ News: Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen einer Biomasseanlage?
Michael Schmidt: Der Aufwand, eine Biomasseanlage zu betreiben, ist natürlich größer als der eines Gaskessels. Man hat einen größeren Personaleinsatz, braucht mehr Platz und so weiter. Ich glaube, das ist auch der Grund, warum viele Industrien ungern auf Biomasse umsteigen. Am Ende des Tages zahlt es sich aber definitiv aus – sowohl wirtschaftlich als auch ökologisch. Allein die wirtschaftlichen Kosten liegen im Vergleich zu einem Betrieb mit einem Gaskessel bei der Hälfte.
HERZ News: Neben der Wirtschaftlichkeit: Welche Vorteile bietet Ihnen die Anlage in der Praxis?
Michael Schmidt: Die Unabhängigkeit ist ebenso ein großer Punkt. Wir sind weniger anfällig für Lieferkettenprobleme und haben Optionen: Wir können Rundholz oder Waldhackgut verheizen. Das gibt uns eine Freiheit, die wir bei Gas niemals hätten. Wenn kein Gas kommt, dann steht alles – oder man muss die Anlage mit Öl hochfahren, und das kostet ein Vermögen.
HERZ News: Welche Rolle haben Förderungen bei der Umsetzung dieses Projektes gespielt?
Michael Schmidt: Wir wollten bereits aus wirtschaftlichen Gründen auf Biomasse umsteigen, die Förderungen sind dann dazugekommen, was für uns ideal war. Hierfür müssen wir nachweisen, dass wir 5.000 Tonnen CO₂ pro Jahr einsparen. Dieses Ziel haben wir bereits erreicht, da wir das Gas komplett abgedreht haben.
HERZ News: Seit September läuft Ihr Betrieb also komplett ohne Gas. Wie fühlt sich dieser Schritt an?
Michael Schmidt: Gut, sogar sehr gut. Viele Betriebe kaufen einen Biomassekessel, nutzen ihn aber nur für die Heizsaison. Dann steht die Anlage oft acht Monate still, und das macht die Investition teuer. Wir haben den Kessel ganzjährig im Einsatz. Die Reservekessel bleiben auf Öl als Backup, aber unser Ziel war klar: das Gas vollständig abdrehen – und das ist gelungen.
HERZ News: Sie verarbeiten Leder unter anderem für die Automobilindustrie. Wie sehen Sie die Zukunft der Industrie in diesen schwierigen Zeiten?
Michael Schmidt: Es sind raue Zeiten – Teuerungen, ständig neue Rahmenbedingungen, geopolitische Unsicherheiten –, aber eines ist klar: Wer flexibel bleibt, Innovation nicht scheut und bereit ist, aus Herausforderungen neue Lösungen zu bauen, wird bestehen. Das war immer so – und das ist auch heute so.
HERZ News: Herr Schmidt, vielen Dank für das Gespräch – und dafür, dass Sie gezeigt haben, wie viel aus einer einzigen Biomasseanlage herauszuholen ist. Ihr Ansatz ist nicht nur beeindruckend, sondern auch ein echtes Beispiel dafür, wie innovative Prozessführung in der Praxis aussehen kann.

... die Verarbeitung von Leder bereits in der Steinzeit eine wichtige Rolle im Alltag gespielt hat?
Archäologische Funde von Werkzeugen zeigen, dass bereits seit dem Paläolithikum (Altsteinzeit, 2,5 Mio. – 10.000 v. Chr.) Tierhäute für Kleidung und Unterkünfte verwendet wurden. Um Tierhäute vor dem Verfaulen zu schützen, entwickelten Menschen schon in der Steinzeit einfache Gerbtechniken: Zunächst wurden Fleisch- und Fettreste mit scharfen Feuersteinschabern entfernt, anschließend trocknete man die Häute in der Sonne oder über Rauch. Mit der Zeit kamen weitere Behandlungsmethoden hinzu: Salze, ausgekochte tierische Stoffe wie Hirn oder Leber sowie Fette machten die Häute zunehmend haltbarer, weicher und sogar wasserabweisend.
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Foto: Michael Schmidt und HERZ News vor dem Multitalent BINDER-Kessel in Wollsdorf.